- kroatische Literatur.
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Die Literatur der Kroaten, die über Jahrhunderte verschiedene politische Machtzentren (Ungarn, Venedig, Habsburgermonarchie, Osmanisches Reich) angehörten, wies lange Zeit regionalen Charakter auf. Als einigendes Band zwischen den getrennten kroatischen Volksteilen erwies sich die Zugehörigkeit zur Westkirche beziehungsweise zum Katholizismus und zum lateinischen Kulturbereich. Seit dem 10. Jahrhundert entwickelte sich an der dalmatinischen Küste (Senj) und auf den Inseln (Hvar, Krk, Rab) eine kirchenslawische Übersetzungsliteratur in glagolitischer Schrift (Glagoliza) mit volkssprachlichen Elementen. Als ältestes kroatisches Sprachdenkmal ist die »Bašćanska ploča«, eine um 1100 entstandene glagolitische Steininschrift, erhalten. Nach dem Vordringen der Türken auf die Balkanhalbinsel blieb die kroatische Literatur primär am westeuropäischen Kulturmodell orientiert. Im 15./16. Jahrhundert entfaltete sich, von italienischen Vorbildern angeregt, eine bedeutende Renaissanceliteratur in der štokavisch-ijekavischen Volkssprache in den Zentren Ragusa (heute Dubrovnik), Split, Zadar und Hvar; zu den hervorragendsten Vertretern zählen S. Menčetić, Džore Držić (* 1461, ✝ 1501) und D. Zlatarić (Lyrik) sowie M. Marulić, P. Hektorović und M. Držić (Komödien). Als Hauptvertreter der kroatischen Reformationsliteratur gilt M. Vlačić. Bedeutende Werke der Lyrik, Epik und Dramatik entstanden in der Barockzeit (17./18. Jahrhundert; Universalismus, Rhetoriktradition, Manierismus, Bukolik). Zu nennen sind in Dalmatien Ivan Bunić Vučić (* 1591, ✝ 1658), Junie Palmotić (* 1606, ✝ 1657), I. Đurđević und v. a. I. Gundulić, mit dem die ragusäische Literatur ihren letzten Höhepunkt erreichte, in N-Kroatien P. R. Vitezović, Ivan Belostenec (* um 1596, ✝ 1675), F. K. Frankopan sowie J. Križanić, der panslawistischen Ideen propagierte. Während Dalmatien seine Führungsrolle in der kroatischen Kultur verlor, entwickelte sich im 17./18. Jahrhundert auf der Grundlage des kajkavischen Dialektes die binnenkroatisch-kajkavische Literatur mit dem Zentrum Zagreb (Komödien von T. Brezovački) und im bosnischen Raum die volkstümlich-erbauliche Literatur der Franziskaner (A. Kačić Miošić). Didaktisch-aufklärerische Literatur entstand in Slawonien, v. a. durch M. A. Reljković und Matija Petar Katančić (* 1750, ✝ 1825).Im 19. Jahrhundert wurde das reiche regionale Erbe mit den modernen nationalen Erfordernissen in Einklang gebracht. Die neuere kroatische Literatur entstand im Zeichen des Illyrismus (1830er- und 40er-Jahre). L. Gaj, Ideologe und Organisator der illyrischen Bewegung, reformierte gemeinsam mit dem Serben V. S. Karadžić auf der Grundlage des štokav. Dialektes die Schriftsprache der Serben und Kroaten, sodass diese seit der Mitte des 19. Jahrhunderts (1850 Wiener Sprachabkommen) über eine gemeinsame Literatursprache (serbokroatische Sprache) verfügen. Die von der deutschen Romantik und panslawischen Ideen (v. a. des Slowaken J. Kollár) geprägte Literatur der nationalen Wiedergeburt (»preporod«) war v. a. auf die eigenständige nationale Tradition ausgerichtet und stellte der politischen und sprachlichen Zersplitterung ein gesamtsüdslawisches Zusammengehörigkeitsbewusstsein entgegen, v. a. S. Vraz, Antun Mihanović (* 1796, ✝ 1861), P. Preradović (Lyrik), I. Mažuranić (Epos) und D. Demeter (Drama).Die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts führte von der Romantik zum Realismus und wurde von A. Šenoa beherrscht, neben dem u. a. E. Kumičić, A. Harambašić, A. Kovačić, V. Novak, Ksaver Šandor Đalski (* 1854, ✝ 1935) und J. Kozarac hervortraten. Über den Realismus hinaus verwies die reflexive, visionäre Lyrik von S. S. Kranjčević.Gegen Ende des 19. Jahrhunderts formierte sich die kroatische Moderne, deren Vertreter den autonomen Charakter der Kunst in den Vordergrund stellten, so der an französischen Vorbildern orientierte Lyriker A. G. Matoš, der Lyriker und Erzähler V. Nazor, der Dramatiker I. Vojnović und der Erzähler D. Šimunović. In Abkehr von der Moderne kam schon im Ersten Weltkrieg der durch Engagement und Protest gekennzeichnete Expressionismus auf, dem sich u. a. A. B. Šimić, A. Cesarec und der junge M. Krleža verbunden fühlten. Auch in der postexpressionistischen Zeit blieb die starke soziale und gesellschaftskritische Orientierung erhalten. In der Zwischenkriegszeit entstanden zum Teil bedeutende Werke: Romane und Dramen von Krleža, Lyrik von T. Ujević, D. Cesarić, I. G. Kovačić, G. Krklec und D. Tadijanović, Erzählprosa von S. Kolar. Diese Autoren bestimmten auch das literarische Leben der 50er-Jahre, besonders Krleža, der in Ablehnung der sowjetischen Doktrin des sozialistischen Realismus und durch den Anspruch auf die individuelle Freiheit des Künstlers die Entwicklung der kroatischen Literatur der Gegenwart maßgeblich bestimmte. Zur Behandlung des Krieges traten urbane Themen und Probleme der Gegenwart. Bedeutende Erzählwerke aus dieser Zeit stammen von V. Kaleb, P. Šegedin, V. Desnica, M. Božić und Ranko Marinković (* 1913), Lyrik von J. Kaštelan und Vesna Parun.Die kroatische Gegenwartsliteratur findet sich zwischen den Grundpositionen Traditionalismus und Modernismus. In der klassisch-realistischen Tradition stehen u. a. Jože Horvat (* 1915), Jure Franicević Pločar (* 1918), Ivan Raos (* 1921) mit gesellschaftskritischen und Ivan Aralica (* 1930) mit historischen Themen. Bereits seit den 50er-Jahren ist ein zunehmender Einfluss der angloamerikanischen Literaturen, aber auch der französischen Existenzialisten deutlich. Eine wichtige Rolle kommt den Literaturzeitschriften zu, um die sich jeweils neue literarische Generationen gruppieren. So sammelten sich in den 50er-Jahren um die Zeitschrift »Krugovi« (Kreise) bedeutende Autoren der modernen kroatischen Erzählliteratur wie S. Novak, I. Slamnig, A. Šoljan, die Lyriker Josip Pupačić (* 1928, ✝ 1971), Zvonimir Golob (* 1927), Slavko Gotovac (* 1930). Eine zweite Gruppe konstituierte sich in den 60er-Jahren um die Zeitschrift »Razlog« (Ursache), u. a. Milan Mirić (* 1931), Zvonimir Mrkonjić (* 1938), Ante Stamać (*1939), Mate Ganza (* 1936), Dubravko Horvatić (* 1939),. deren Themen wie künstlerische Verfahren von traditionellen Formen bis zu kühnsten Sprachexperimenten reichen. Als einflussreiche Strömung der 60er- und 70er-Jahre erwies sich die an J. D. Salinger und U. Plenzdorf orientierte »Jeans-Prosa« (»proza u trapericama«), die durch die Verwendung von Slang- und Jargonelementen gekennzeichnet ist, von Branislav Glumac (* 1938), Zvonimir Majdak (* 1938) und Alojz Majetić (* 1938). In den 70er-Jahren entwickelte sich auch eine Richtung der fantastisch-abenteuerlichen Literatur, deren Erzählweise in der Nachfolge von M. A. Bulgakow, F. Kafka und v. a. J. L. Borges steht. Zu den Autoren, die sich auf Borges beziehen (»Borhesovci«), zählen u. a. Vertreter »parakausaler« Prosa wie Pavao Pavličić (* 1945), der die Gattung des Gesellschaftsromans in die Kriminalgeschichte stellt, Drago Kekanović (* 1948), der sich um eine Erneuerung der dörflichen Prosa bemüht, und Goran Tribuson (* 1948), der den Bereich des Fantastischen ausschöpft. Die fantastische mit der klassisch-sachlichen Literatur verbindet Stjepan Ćuić (* 1945). Klassisch-antike Literaturtradition mit Utopischem verbindet Veljko Barbieri (* 1950), mit avantgardistisch-experimenteller Prosa ist Dubravka Ugrešić (* 1949) hervorgetreten, die wie viele jüngere Autoren auch Verfahrensweisen der Trivialliteratur einsetzt.Die seit Anfang der 70er-Jahre in der Literatur anhaltenden Autonomietendenzen erwiesen sich bei der Lösung Kroatiens aus der jugoslawischen Föderation und im serbisch-kroatischen Krieg 1991/92 als wesentlich für die auch sprachlich ausgedrückte Abkopplung der kroatischen Literatur von »serbokroatischen« beziehungsweise »jugoslawischen« Standards (Vlado Gotovac, * 1930, ✝ 2000; Ivan Aralica, * 1930; Slobodan P. Novak, * 1950 u. a.). Neue Impulse gehen dabei insbesondere von der Romanliteraur aus, die neben geschichtliche Themen die gesellschaftlichen Umbrüche und das Kriegsgeschehen verarbeitet (N. Fabrio; P. Pavličić; Stjepan Tomaš, * 1947). Die Poesie prägen Patriotismus und das Kriegserlebnis, während für das Drama und neuere Erzählprosa (Tomislav Bakarić, * 1940; Ivo Brešan, * 1936; Ivan Kušan, * 1933) postmoderne Strukuren charakteristisch sind.Hrvatska književnost prema evropskim književnostima. Od narodog preporoda k našim danima, hg. v. A. Flaker u. K. Pranjić (Zagreb 1970);Leksikon pisaca Jugoslavije, hg. v. Ž. Boškov, auf 5 Bde. ber. (Belgrad 1972 ff.);A. Schmaus: Die k. L., in: Kindlers Literaturlex., Bd. 7 (1972);Povijest hrvatske književnosti, auf 7 Bde. ber. (Zagreb 1974 ff.);A. Flaker: Modelle der Jeans-Prosa. Zur literar. Opposition bei Plenzdorf im osteurop. Romankontext (1975);A. Barac: Gesch. der jugoslaw. Literaturen von den Anfängen bis zur Gegenwart (a. d. Serbokroat., 1977);P. Pavličić: Rasprave o hrvatskoj baroknoj knijževnosti (Split 1979);M. Šicel: Hrvatska književnost (Zagreb 1982);J. Frangeš: Povijest hrvatske književnosti (Zagreb 1987);I. Frangeš: Gesch. der k. L. Von den Anfängen bis zur Gegenwart (a. d. Kroat., 1995);Serbokroat. Autoren in dt. Übers. Bibliogr. Materialien 1776-1993, hg. v. R. Lauer, 2 Bde. (1995).
Universal-Lexikon. 2012.